Das Wichtigste in Kürze
Bedingungen für die Erwerbsminderungsrente prüfen, bevor Sie den Rechner starten
„Verkaufe das Fell nicht, bevor der Bär erlegt ist.“ – Bezogen auf eine möglich Erwerbsminderungsrente sind zunächst die grundlegenden Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, bevor Sie sich mit der Rentenhöhe beschäftigen. Anhand einer kurzen Checkliste klären Sie die wichtigsten Punkte:
- Waren Sie mindestens fünf Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung (Wartezeit)? Diese fünf Jahre müssen nicht unmittelbar vor Eintritt der Erwerbsminderung sein, sie können auch schon länger zurückliegen.
- Haben Sie in diesen fünf Jahren mindestens drei Jahre lang Pflichtbeiträge bezahlt?
- Wenn Sie einen der beiden ersten Punkte verneint haben, profitieren Sie möglicherweise von einer Sonderregelung für Berufsanfänger. Das gilt besonders bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie in den ersten sechs Jahren nach einer Ausbildung.
Sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen geklärt, geht es um Ihren Gesundheitszustand:
- Erwerbsgemindert ist nur, wer dauerhaft weniger als sechs Stunden täglich in einem beliebigen Beruf arbeiten kann. Die Tätigkeit kann weniger anspruchsvoll sein, weniger Einkommen generieren und weniger Sozialprestige besitzen als Ihr jetziger Job. Es spielt auch keine Rolle, ob es überhaupt freie Stellen gibt.
- Eine volle Rente gibt es nur, wenn Sie weniger als drei Stunden arbeiten können. Zwischen drei und weniger als sechs Stunden Erwerbsfähigkeit spricht der Gesetzgeber von teilweiser Erwerbsminderung, dann gibt es nur eine halbe Rente.
- Kein Rentenanspruch besteht, wenn es eine Chance gibt, die Arbeitsfähigkeit durch medizinische oder berufliche Rehabilitation wiederherzustellen. Die Rentenversicherung leistet nach dem Prinzip „Reha vor Rente“.
Wie hoch ist die Erwerbsminderungsrente? Antwort gibt die Rentenformel
Bisherige und künftige Entgeltpunkte
Entgeltpunkte spiegeln das bisherige Erwerbsleben und die gezahlten Beiträge an die Rentenversicherung wider. Ein Entgeltpunkt wird dem Rentenkonto gutgeschrieben für jedes Kalenderjahr, in dem ein Versicherter genau die Beiträge entrichtet hat, die dem Durchschnittsverdienst aller Beschäftigten entsprechen. Wer 35 Jahre lang immer im Durchschnitt verdient hat, hat also 35 Entgeltpunkte. Für einen geringeren oder höheren Beitrag gibt es entsprechend weniger oder mehr Punkte. Berücksichtigt wird nur Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze des jeweiligen Jahres. Daraus ergibt sich ein Maximum von ca. zwei Entgeltpunkten pro Jahr. Wer darüber hinaus verdient, muss privat vorsorgen, um im Alter oder bei einer Erwerbsminderung das gewohnte Niveau halten zu können.
Zusätzlich zu den selbst erworbenen Entgeltpunkten gibt es auch Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten. Das sind zum Beispiel Zeiten von Schule und Studium, Wehrdienst, Krankheit und Rehabilitation, Arbeitslosigkeit, Mutterschutz, Kindererziehung, Pflege und viele sogenannte Anrechnungszeiten mehr.
Für Erwerbsminderungsrentner ist eine Gruppe von beitragsfreien Zeiten besonders wichtig, die Zurechnungszeiten. Anders als die Altersrente, die erst ab einem festgelegten Alter beantragt werden kann, kann eine Erwerbsminderung jederzeit eintreten, auch wenn der Versicherte noch sehr jung ist. Zu diesem Zeitpunkt hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit nur sehr wenige Entgeltpunkte selbst erworben und kann auch nicht wesentlich von beitragsfreien Anrechnungszeiten profitieren. Durch Berücksichtigung von Zurechnungszeiten werden ihm aber Entgeltpunkte so gutgeschrieben, als hätte er weiter in die Rentenkasse eingezahlt. Allerdings ist das Thema Zurechnungszeiten durch die schrittweise Anhebung des regulären Rentenalters und durch deswegen notwendige mehrfache Änderungen der Gesetze sehr kompliziert. Bis zu welchem Alter tatsächlich eine Zurechnung stattfindet, hängt vom Jahr des Rentenbeginns ab. Die aktuelle Regelung gilt erst für Neurentner ab 2019 und sieht wie folgt aus:
- Bei Rentenbeginn in 2019 reicht die Zurechnungszeit bis zu einem Alter von 65 Jahren und acht Monaten.
- Entsprechend der Verschiebung des Rentenalters verlängert sie sich von 2020 bis 2027 um einen Monat pro Jahr, also von 65 Jahren und neun Monaten bis auf 66 Jahre und vier Monate.
- Von 2028 an beträgt die Steigerung zwei Monate pro Jahr, also beginnend bei 66 Jahren und sechs Monaten, bis 2031 schließlich die vollen 67 Jahre erreicht sind.
Gegen die Ungleichbehandlung der Altrenter (Rentenbeginn 2018 und früher) laufen Klagen, unter anderem Musterverfahren der Sozialverbände SoVD und VdK. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus.
Zugangsfaktor
Der Zugangsfaktor bestimmt, in welchem Umfang (allgemeine) Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Er richtet sich nach dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn (§ 77 SGB VI). Bei einer Altersrente zum normalen Zeitpunkt (also je nach Jahrgang zwischen 65und 67 Jahren) beträgt der Zugangsfaktor 1, verändert die Entgeltpunkte also nicht. Sowohl bei der Altersrente als auch bei der Erwerbsminderungsrente vermindert sich der Zugangsfaktor je Monat der früheren Inanspruchnahme um 0,003 (entsprechend 0,3 % Abschlag). Die Reduzierung ist aber auf 36 Monate mal 0,003 = 0,108 gedeckelt (10,8 % Abschlag). Auch wenn ein Versicherter bereits mit vierzig Jahren Erwerbsminderungsrente beziehen muss, wird sie also um höchstens 10,8 % gekürzt.
Rentenartfaktor
Der Rentenartfaktor ist die einfachste Größe in der Rentenformel. Entsprechend dem Zweck der Rente ist er bei voller Erwerbsminderung 1, gleichbedeutend mit einer vollen Rente, und bei teilweiser Erwerbsminderung 0,5, was zu einer halben Rente führt.
Rentenwert
Rentenwert ist der Betrag, der monatlich für einen persönlichen Entgeltpunkt (also nach Anwendung des Zugangsfaktors) bezahlt wird. Der Rentenwert wird jährlich zum 1. Juli entsprechend der Entwicklung der Arbeitseinkommen im Vorjahr angepasst. In den letzten Jahren gab es dadurch ansehnliche Rentenzuwächse – 2016 mit 4,25 % (West) und 5,95 % (Ost) sogar die größte Erhöhung seit mehr als zwanzig Jahren. Zum 1. Juli 2020 ist der Rentenwert von 33,05 Euro auf 34,19 Euro (West) bzw. von 31,89 Euro auf 33,23 Euro (Ost) gestiegen. Gründe dafür waren die gute Wirtschaftslage mit geringer Arbeitslosigkeit.
Die Corona-Krise zeigt aber, dass sich Durchschnittseinkommen auch einmal nach unten entwickeln können. Das liegt an den vielen Fällen von Kurzarbeit oder gar Verlust der Arbeitsstelle durch den Lockdown. Glücklicherweise bedeutet das weder für Alters- noch für Erwerbsminderungsrentner eine Rentenkürzung, aber immerhin eine Nullrunde. Politisch diskutiert wird derzeit, ob die ausgefallene Kürzung auf Folgejahre mit hohen Steigerungssätzen angerechnet werden sollte. Die aktuellen Gesetze bieten dafür keine Grundlage.
Unterschiede zwischen Renteninformation und Rentenauskunft
Krankheit und Altersarmut sind keine Themen, mit denen man sich gern beschäftigt. Den Kopf in den Sand zu stecken, hat aber keinen Zweck – nur mit einem realistischen Blick auf die zu erwartenden Renten sowohl im Alter als auch für den Fall einer Erwerbsminderung lässt sich die dringend notwendige private Vorsorge frühzeitig planen. Je eher Sie anfangen, umso niedriger sind die Beiträge und umso weniger fällt der Konsumverzicht für das Sparen ins Gewicht. Der Gesetzgeber unterstützt diese vorausschauende Planung. Er verpflichtet die Träger der Rentenversicherung, ihren Versicherten regelmäßig eine Renteninformation und später eine Rentenauskunft zur Verfügung zu stellen (§ 109 SGB VI). Sie müssen also nicht selbst die Rentenformal anwenden, sondern können sich auf die Daten der Versicherung stützen.
Die Renteninformation gibt es jährlich schon ab dem 27. Lebensjahr. Sie enthält insbesondere:
- Höhe einer eventuellen Erwerbsminderungsrente
- Prognose der zu erwartenden Regelaltersrente
- Informationen über die Auswirkungen von Rentenanpassungen
- Übersicht über die Höhe der bisher gezahlten Beiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil sowie Zahlungen öffentlicher Kassen)
Im Alter von 55 Jahren rückt für viele Versicherte die Rente schon in greifbare Nähe, vor allem, wenn Arbeitgeber Ausstiegsmodelle wie Vorruhestand, Altersteilzeit, Abfindungen oder andere Formen der Überbrückung anbieten. Die Rentenauskunft gibt es zwar nur noch alle drei Jahre, dafür ist sie aber auch wesentlich detaillierter und sieht fast so aus wie der spätere Rentenbescheid. Enthalten sind beispielsweise:
- Übersicht der rentenrechtlichen Zeiten (Versicherungsverlauf)
- Ermittlung der Entgeltpunkte
- Höhe der sich daraus ergebenden Altersrente (aktuell und bei Weiterzahlung der Beiträge wie im Schnitt der letzten fünf Jahre)
- Höhe der vollen Erwerbsminderungsrente
- gegebenenfalls Höhe einer Witwen-/Witwerrente bei Tod
Wer einen Antrag auf besondere Rentenauskunft gestellt hat, kann außerdem ablesen, welche freiwilligen Beiträge er zum Ausgleich der prozentualen Abschläge leisten kann, wenn er früher in Rente gehen möchte. Eine Verpflichtung zur Zahlung entsteht aus dem Antrag nicht.
Abzüge von der Erwerbsminderungsrente für Kranken- und Pflegeversicherung
Die in der Renteninformation bzw. Rentenauskunft ausgewiesenen Werte sind als Bruttorente zu verstehen. Viele Sozialabgaben müssen Rentner nicht mehr zahlen, aber auch Erwerbsminderungsrenten sind in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung beitragspflichtig. Nach aktueller Rechtslage zahlen Rentner einen Beitragssatz von 7,3 % plus die Hälfte des Zusatzbeitrags ihrer Kasse. Hinzu kommt der Beitrag für die Pflegeversicherung von 3,05 % bzw. 3,30 % für kinderlose Versicherte (Stand 2020, Beitragsstabilität bis 2022 geplant).
Waren Sie vor Eintritt der Erwerbsminderung privat krankenversichert, müssen Sie diesen Vertrag meist auch fortsetzen. Nur in wenigen Ausnahmefällen, nämlich bei langen Vorversicherungszeiten in der gesetzlichen Versicherung, ist eine Rückkehr möglich. Die Rentenversicherung zahlt einen Zuschuss zur PKV. Ist die Versicherung trotzdem zu teuer, können Sie in einen Basistarif oder – wenn Beiträge nicht gezahlt wurden – in einen Notlagentarif wechseln.
Post vom Finanzamt: Erwerbsminderungsrente und Steuer
Die meisten Erwerbsminderungsrenten sind zu gering, um eine Steuerpflicht auszulösen. Das Existenzminimum (Grundfreibetrag) von 9.408 Euro im Jahr (Stand 2020) ist per Gesetz steuerfrei. Die Summe wird jährlich angepasst, geplant sind 9.744 Euro in 2021 und 9.984 Euro in 2022.
Außerdem sind Krankenversicherungsbeiträge, Werbungskosten von 102 Euro und ein individuell zu berechnender Rentenfreibetrag zu berücksichtigen. Dieser Freibetrag hängt vom Jahr des Rentenbeginns ab. Durch den Übergang von einer vorgelagerten Besteuerung (Beiträge stammen aus versteuertem Einkommen) zu einer nachgelagerten Besteuerung (Rente ist steuerpflichtig) steigt der steuerpflichtige Anteil von 2005 = 50 % bis 2020 = 80 % um jährlich zwei Prozentpunkte, danach um jeweils einen Prozentpunkt, bis 2040 100 % erreicht sind.
Rechenbeispiel
Ein Erwerbsminderungsrentner erhält erstmals im Jahr 2020 eine Rente von 900 Euro. Weitere Einkünfte hat er nicht. Die Rente ist zu 80 % steuerpflichtig, also 720 Euro im Monat oder 8.640 Euro im Jahr. Die steuerpflichtigen Einkünfte liegen unterhalb des Grundfreibetrags, es fällt also keine Einkommensteuer an.
Der steuerfreie Betrag von 20 % (180 Euro im Monat = 2.160 Euro im Jahr) bleibt für die Zukunft immer gleich, ändert sich also nicht mit Rentenanpassungen. Dadurch kann in Zukunft eine Steuerpflicht entstehen, wenn die Rente schneller steigt als der Grundfreibetrag.
Die Rentenversicherer müssen dem Finanzamt eine Rentenbezugsmitteilung schicken. Stellt das Finanzamt fest, dass die Rentenbezüge steuerpflichtig sein könnten, wird es Sie zur Steuererklärung auffordern. Denken Sie bitte daran, dass für die Prüfung der Steuerpflicht auch andere steuerpflichtige Einkommensarten wie Mieteinnahmen und Kapitalerträge zu berücksichtigen sind.
Und wenn die Erwerbsminderungsrente nicht reicht?
Geringe Erwerbsminderungsrenten können durch Grundsicherung (Hartz IV) aufgestockt werden. Ein Antrag kann sich lohnen, auch wenn die Rente über dem Hartz-IV-Satz liegt, weil bei der Grundsicherung auch Miete und Nebenkosten übernommen werden.
Außerdem ist in engen Grenzen ein Hinzuverdienst gestattet. Bei voller Erwerbsminderung sind das 6.300 Euro im Jahr, gedeckelt aber auf das höchste Einkommen der letzten 15 Jahre oder mindestens eine volle Monatsrente plus 525 Euro. Bei teilweiser Erwerbsminderung gibt es eine individuelle Berechnung, mindestens sind 15.479,10 Euro pro Jahr erlaubt (Stand 2020). Bei höherem Hinzuverdienst wird die Rente um 40 % des Betrags gekürzt, der oberhalb der Grenze liegt. Die zusätzliche Arbeit zahlt sich also aus, denn selbst oberhalb der Hinzuverdienstgrenzen darf er 60 % behalten. Zu prüfen ist dann aber wieder die Steuerpflicht sowie gegebenenfalls eine Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung.
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